Sie befinden sich hier: Startseite > Hygiene > Gefahren für Lebensmittel > Claviceps purpurea
Abbildung 1: Roggenähre mit Mutterkorn. Bild: Meyers großes Konversationslexikon (1905) |
Der Pilz Claviceps purpurea gehört zu den Schlauchpilzen (Ascomycetes). Dieser → Schimmelpilz befällt insbesondere Roggen, aber auch Weizen, Gerste, Hafer und andere Gräser. Dort treten seine Dauerorgane, die sogenannten Mutterkörner (Sklerotien) zwischen den Spelzen als leicht gekrümmter, hornförmiger, schwarzvioletter Körper auf (Abbildung 1). Bei der Ernte werden die Sklerotien mit geerntet und gelangen in das Getreide. Für Menschen und Tiere gefährlich werden können die im Mutterkorn auftretenden Schimmelpilzgifte (Mykotoxine), die sogenannten Mutterkornalkaloide. Der natürliche Gehalt im Mutterkorn schwankt zwischen 0,2 und 1 % der Trockenmasse. Im Mittel liegt der Gesamtalkaloid-Gehalt im Mutterkorn bei 0,2 %. Da der Verzehr von Mutterkörnern zu schweren Vergiftungen führen kann, wurden für einige Getreidesorten Höchstmengen für den Mutterkornanteil festgelegt Mutterkorn und Mutterkornalkaloide in Getreide und Mehl.
In der Natur fallen die Mutterkörner auf die Erde, überwintern und bilden im Frühjahr mehrere rote Fruchtkörper (Abbildung 2, Nr. 21) aus. Die stecknadelgroßen auf einem Stiel sitzenden Köpfe besitzen auf der Oberfläche kleine Gruben (Perithecien), die wiederum zahlreiche Sporenschläuche enthalten (Abbildung 2, Nr. 22). In diesen Sporenschläuchen sind eine Vielzahl Sporen eingeschlossen (Abbildung 2, Nr. 23), die durch den Wind verbreitet werden und, wenn sie auf eine Gräserblüte treffen, dort ein → Myzel ausbilden (Abbildung 2, Nr. 19 und 20). Das Myzel durchdringt den gesamten Fruchtknoten der Blüte und schnürt Konidiosporen ab, die in einer Flüssigkeit, dem Honigtau aus den Spelzen der Gräser dringen. Die Konidien werden durch Insekten, Regen oder die Berührung der Halme von einer Blüte zur nächsten übertragen. Später im Jahr bildet sich aus dem Myzel im Fruchtknoten das Mutterkorn.
Der Verzehr von mit dem Pilz befallenem Getreide, bzw.
Getreideprodukten kann eine Mutterkornvergiftung (Ergotismus)
verursachen. Im Mittelalter wurden die Vergiftungserscheinungen als
"Sankt-Antonius-Feuer" oder "Kribbelkrankheit" beschrieben, ohne die
Ursache benennen zu können.
Die Mutterkornalkaloide sind ein gutes Beispiel für Paracelsus‘
Ausspruch: "Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die
Dosis macht‘s, daß ein Ding kein Gift sei." Bereits fünf bis zehn Gramm
Mutterkorn vermögen einen Menschen zu töten. In geringen Dosen aber sind
die Alkaloide wertvolle Medikamente. Sie bewirken eine Verengung der
Blutgefäße, werden zur Migränetherapie, zur Behandlung von Parkinson und
zur Senkung eines erhöhten Blutdrucks (Antihypertensiva) eingesetzt.
Einige Mutterkornalkaloide werden in der Geburtshilfe verwendet, denn
sie lösen Wehen aus und werden zur Stillung von Gebärmutterblutungen
nach einer Geburt eingesetzt.
Abbildung 2: Übersicht über die Vegetationsformen von Claviceps
purpurea.
Bild: Meyers großes Konversationslexikon (1905)
Das erste Anzeichen einer Vergiftung ist Kribbeln in den Fingern und Zehen. Als weitere Symptome werden Erbrechen und Durchfälle, Atembeschwerden, Taubheit der Extremitäten, Krämpfe, Herz- und Gliederschmerzen sowie Psychosen genannt. Die Wirkung Blutgefäße zu verengen, kann im schlimmsten Fall zum Absterben der Extremitäten und zur Amputation der Gliedmaßen führen. Im Mittelalter starben Hunderttausende Menschen durch das Essen von Roggenbrot, das aus mit Mutterkorn belastetem Roggen hergestellt wurde.
Es werden heute große Anstrengungen unternommen, um Verbraucher vor einer Vergiftung zu schützen. Das Getreide wird mit verschiedenen Methoden gereinigt. Anhand der Form, Größe, des spezifischen Gewichtes und Farbe werden Mutterkörner aus dem Getreide aussortiert.
Durch Lagerung und Weiterverarbeitung reduziert sich der Gehalt an Mykotoxine. Am höchsten ist die Wirksamkeit beim frischen Mutterkorn, nach 3 Monaten lässt die Wirkung aber bereits nach.
Es sollte auf den Verzehr von ungereinigtem, frisch gemahlenem Getreide verzichtet werden.
BfR: Einzelfall-Bewertung von Ergotalkaloid-Gehalten in
Roggenmehl und Roggenbroten. Stellungnahme Nr. 024/2013 des BfR
vom 7. November 2012, aktualisiert am 28.08.2013
BfR: Fragen und Antworten zu Ergotalkaloiden in
Getreideerzeugnissen. FAQ des BfR vom 12. November 2013
Mutterkorn: ein giftiger Getreidepilz – früher
gefürchtet, heute unter Kontrolle, Industrieverband Agrar e.V.
(IVA), 12.08.2010
Brötchen, Brot und Schimmelgifte: Der Mutterkorn-Pilz
und seine Geschichte, Quarks & Co, Stand: 02.02.2010
Tina Türk: Mykotoxine, Vortrag im Rahmen der "Übungen im
Vortragen mit Demonstrationen - Organische Chemie", SS 2003
Wikiquote: Paracelsus
(1493–1541), Zitate mit Quellenangabe, aufgerufen am 11.8.2012,
16:15 Uhr
Höchstmengenregelungen für Mykotoxine in Lebensmitteln
in der Europäischen Union (EU) und in Deutschland. Bayerisches
Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Dokument
aktualisiert am: 06.06.2018
Wikipedia: Mutterkornpilz, aufgerufen am 11.8.2012, 16:30 Uhr
Untersuchung von Mutterkornalkaloiden in
Getreideerzeugnissen, Nds. Landesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Mutterkornvorkommen in Futtergetreide, Nds.
Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
Kück, Nowrousian, Hoff, Engh, Schimmelpilze: Lebensweise, Nutzen,
Schaden, Bekämpfung. Berlin, Heidelberg 2009
Lexikon: Mutterkorn. Meyers Großes Konversations-Lexikon (1905), CD-ROM
Version S. 135308
(vgl. Meyer Bd. 14, S. 333)
Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2011, 262. Auflage, 2010